Es erreicht mich ein Anruf aus einer Kita: Ein Vater sei überraschend an einem Herzinfarkt gestorben, der vierjährige Sohn wäre Zeuge gewesen und trüge das Erlebte in die Einrichtung. Die Kolleginnen kämpfen dauernd mit den Tränen. „Wie gehen wir denn jetzt damit um?“, fragen sie. „Die Kinder erzählen beim Essen darüber und spielen das Gehörte im Gruppenraum nach. Sie stellen uns echt krasse Fragen! Einige Eltern wollen ihre Kinder vor dieser Geschichte schützen und möchten nicht, dass wir darüber sprechen. Sollen wir das nun thematisieren oder nicht? Und wie? Wir sind ein wenig ratlos!“
Meist erreicht uns ein Trauerfall unvorbereitet
Da ist er wieder, der Ausnahmezustand Tod – plötzlich und unerwartet! Die Frage, ob man „es“ thematisieren soll, stellt sich gar nicht. „Es“ ist längst Thema! Und auch wenn „es“ unvorhersehbar kommt, muss es eine Kita nicht unvorbereitet treffen. Obwohl in einer Gemeinschaftseinrichtung mit 25, 50, 80, 180 Kindern und entsprechend vielen Eltern, Geschwistern, Großeltern, Verwandten und guten Freundinnen und Freunden (die Erzieherinnen mit ihren Familien nicht zu vergessen!) das Thema Tod sehr wahrscheinlich ist, trifft ein Trauerfall viele Teams unvorbereitet. Eigentlich merkwürdig: Regelmäßig müssen Teams Brandschutzübungen und Erste-Hilfe-Kurse machen, um für den (erfreulich selten eintretenden) Ernstfall gerüstet zu sein. Auf die viel größere Wahrscheinlichkeit eines Todesfalls in der Kita bereitet sich ein Team selten vor.
Das Tabuthema Tod macht uns im Ernstfall hilflos
In Nachrichten, Filmen und Büchern wird millionenfach öffentlich gestorben, bevorzugt sogar zur Unterhaltung. Der „echte Tod“ bleibt ein Tabu. Niemand möchte von der Lawine aus Gefühlen und Unausweichlichkeit erwischt werden. Daher versuchen viele, den Tod im echten Leben zu ignorieren. Doch der Tod ist mit Sicherheit das Einzige, dem wir garantiert nicht ausweichen können! Er ist völlig unbarmherzig gegenüber allen Vermeidungsstrategien und heillosen Fluchtversuchen – genau wie ein Feuer. Man stelle sich vor, die Überlegungen nach geeigneten Fluchtwegen und Versammlungsplätzen, die Klärung von Abläufen und Verantwortlichkeiten, die Fragen nach Löschmitteln und Rettungsmaßnahmen würden erst beginnen, wenn jemand Rauch riecht oder Flammen sieht! „Kennt jemand zufällig die Telefonnummer der Feuerwehr?“
Wann ist der richtige Zeitpunkt für das Thema?
Die Auseinandersetzung mit dem Tod in einer Gemeinschaftseinrichtung erst im „Ernstfall“ zu beginnen, ist der falsche Zeitpunkt. Jeder Tod ist eine fundamentale Erschütterung des Alltags, eine Ausnahmesituation, ein emotionaler Kraftakt, der uns mit Gefühlen und Situationen konfrontiert, die wir lieber vermeiden würden. Ein Team handelt souverän und verantwortungsvoll, wenn es sich mit der grundlegenden Frage „Was tun, wenn der Tod in die Kita kommt?“ aktiv auseinandersetzt, bevor ein akutes Ereignis eintritt. Viele Fragen und eine abgestimmte Haltung im Umgang mit dem Tod können und müssen vor einem akuten Ereignis geklärt sein. Die Kita als gestaltender Teil von Gesellschaft hat einen professionellen Fürsorge- und Bildungsauftrag im Hinblick auf das Thema Tod. Menschen in dieser Ausnahmesituation (deren Teil die Kita immer automatisch ist) liebevoll und kompetent zu begleiten und gut zu kommunizieren, bedarf der Vorbereitung.
An der persönlichen Auseinandersetzung kommt keiner vorbei
Jeder Todesfall ist anders und doch stellen sich immer dieselben Fragen und Probleme. Leid entsteht nicht nur durch den Verlust eines Menschen und die Trauer, sondern auch durch unreflektierten, hilflosen, „gut gemeinten“ Umgang mit einem Todesfall. In meinen Seminaren zum Thema fließen in einigen Vorstellungsrunden Teilnehmer:innentränen, weil eigene Geschichte und Verletzung neben den professionellen Anforderungen als Erzieher:in wirksam sind. Viele wurden als Kind beim Thema Tod (z.B. bei der Bestattung eines geliebten Angehörigen) ausgeschlossen. Ihr Umfeld wurde angesichts des Todes schweigsam und unbeweglich, das Unvertuschbare wurde mit Ablenkung zu vertuschen versucht, Trauer hatte keine Rituale, keinen Raum – und selten Worte. Oft tragen Menschen ein Leben lang an einem nicht gelebten Schmerz, der gedeckelten Trauer, dem Ausschluss vom Geschehen. Manchmal wiederholen Betroffene die Fehler, die ihnen so lange zu schaffen machen: Sie verdrängen, schließen aus, deckeln. Sie sind ratlos und unsicher, wie es anders, besser gehen könnte. Die Aufgabe als Erzieher:in mit Verantwortung für ihnen anvertraute Kinder wird in dieser Situation zur schweren Bürde.
Mit einer Mischung aus Menschlichkeit und Professionalität
Reflektierter, wacher Umgang mit der eigenen Betroffenheit (der Tod eines anderen Menschen stellt auch immer die eigene Existenz und Sicherheit in Frage), der Abschied von Vermeidungs-und Ausweichverhalten, Authentizität (wozu auch Tränen gehören) können viel Gutes, Hilfreiches, Stützendes bewirken. Die Mischung aus Menschlichkeit, Anteilnahme und Professionalität schafft eine Atmosphäre, in der das Schwere, Unaushaltbare gemeinsam erträglicher und gestaltbar wird. Wir sind dem Tod zweifelsohne ausgeliefert und müssen in einem guten Umfeld dennoch nicht völlig hilflos sein.
Mehr Raum für die Begleitung im Ernstfall durch Vorbereitung
Es gibt kein Patentrezept für den Umgang mit dem Tod. Doch wenn sich ein Kita-Team vor dem Ernstfall bereits gedanklich und praktisch mit dem Tod beschäftigt, entsteht im akuten Ereignis mehr Raum und Zeit für Begleitung und Beistand, Trost und gute Kommunikation. Abseits von Verwirrung, Ratlosigkeit und Grundsatzfragen steht mehr kostbare Zeit und Energie dem eigentlichen Prozess der Begleitung und Fürsorge zur Verfügung, die ansonsten für Teamprozesse, die Erarbeitung von Handlungsstrategien und die Klärung des grundsätzlichen Umgangs mit dieser Ausnahmesituation verloren geht!
So können Vorbereitungen im Kita-Team getroffen werden
- Es kann ein modularer Musterbrief für Trauerfälle erstellt werden, der viele Bausteine / mögliche Situationen enthält und auf den jeweiligen Fall zugeschnitten werden kann; er informiert Familien und kommuniziert Nötiges.
- Das Team kann in einer Fortbildung oder mehreren Dienstbesprechungen den grundsätzlichen Umgang mit dem Thema Sterben, Tod und Trauer klären; die grundsätzliche Haltung der Einrichtungen im Trauerfall wird besprochen und gemeinsam festgelegt.
- Im Vorfeld kann das Team Abläufe und Zuständigkeiten klären, die im akuten Fall viele Abstimmungsprozesse überflüssig machen. Jede:r weiß, was zu tun ist, findet Hilfreiches und gute Worte in einem Ordner, Adressen und Ansprechpartner:innen in der Notfall-Liste, kreative Ideen und Bilderbuch-Vorschläge für die Arbeit mit den Kindern. Niemand muss sich wegducken, weil das Gefühl von Ohnmacht und Überforderung die Oberhand gewinnt.
- Das Team kann vorher überlegen, welche Rituale den Eltern und den Kindern angeboten werden und wie Anteilnahme, Abschiedsfeiern, Bestattungen von der Einrichtung mitgestaltet oder begleitet werden können. Gemeinsame und individuelle Trauer kann gestaltet werden.
- Hilfreiche Materialien können zusammengestellt werden, die sowohl im Team, als auch Eltern Orientierung bieten: Welche Trauerreaktionen können uns und Kindern begegnen? Welche entwicklungspsychologischen Erkenntnisse gibt es zum Verständnis und Umgang von Kindern verschiedener Altersstufen mit Tod und Trauer? Welche Adressen zu welchen Hilfsangeboten haben wir und können wir weitergeben?
- Das Team kann klären, welche Form und welche Inhalte ein Elternabend zum Thema haben würde.
- In der Kita kann der Aufbau einer Abschiedskultur erörtert werden, die Werden und Vergehen, Kommen und Gehen, Leben und Tod thematisiert. Jahreszeiten, Fluktuation, Feiertage, Geschichten – alles, was sich mit den großen und kleinen Abschieden befasst, kann bewusster gestaltet werden. Bewusster Abschied, ehrlicher Umgang mit Trauer kann geübt werden.
Nur nach aufmerksamer Vorbereitung kann ein Todesfall angemessen begleitet werden
Es gibt keinen guten Weg, der die Auseinandersetzung mit dem Tod geschickt und nebenwirkungsfrei umgeht, aber viele gute Wege durch das Thema hindurch! Angesichts der Schwere, die Tod und Trauer für Betroffene bedeuten, schüttelt man diese guten Wege aber selten einfach so aus dem Ärmel. Sie brauchen Vorbereitung und Aufmerksamkeit, die man vor allem dann gewährleisten kann, wenn das akute Ereignis noch nicht eingetreten ist.
Frank Hartmann, ev. Religionspädagoge, lebt in Arendsee. Acht Jahre war er Leiter einer evangelischen Kindertagesstätte in Hamburg. Seit 2010 ist er freiberuflich als Autor und Dozent tätig und begleitet Kitas bei unterschiedlichen Entwicklungsprozessen. www.autor-frankhartmann.de
Frank Hartmann
Frank Hartmann, ev. Religionspädagoge, lebt in Arendsee. Er arbeitete als Gemeindediakon und in einem ökumenischen Kirchenzentrum. Acht Jahre war er Leiter einer evangelischen Kindertagesstätte in Hamburg. Seit 2010 ist er freiberuflich als Autor und Dozent tätig.
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Frank Hartmann
Frank Hartmann, ev. Religionspädagoge, lebt in Arendsee. Er arbeitete als Gemeindediakon und in einem ökumenischen Kirchenzentrum. Acht Jahre war er Leiter einer evangelischen Kindertagesstätte in Hamburg. Seit 2010 ist er freiberuflich als Autor und Dozent tätig.
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