Gewalt durch pädagogische Fachkräfte: ein Tabu bröckelt
Publiziert am 28.01.2020 von Jörg Maywald
© Pixabay.com/LuidmilaKot
In einer Kita muss das angebotene Essen grundsätzlich gekostet werden. Eine Leiterin schreit Kinder an. Ein Erzieher fällt durch rassistische Äußerungen auf. Eine Praktikantin berichtet, dass Kinder in der Krippe mit Mullbinden am Tisch fixiert werden. Gewalt gegen Kinder kann viele Formen annehmen und manchmal sehr subtil sein.
Fehlverhalten und Gewalt durch pädagogische Fachkräfte kommen in jeder Kita vor. Das Fehlverhalten kann einmalig oder wiederholt auftreten, aktiv oder passiv – durch Unterlassen einer notwendigen Fürsorgehandlung – geschehen. Die Gewalt kann massiv sein oder auf leisen Sohlen daherkommen. Sie kann den Körper oder die Seele des Kindes verletzen oder sich als sexualisierte Gewalt zeigen.
Recht auf gewaltfreie Erziehung
Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, bei dessen Verwirklichung Kindertageseinrichtungen eine hohe Verantwortung zukommt. Fehlverhalten darf nicht hingenommen oder gar begünstigt werden. Auch Wegsehen, Verschweigen oder Banalisieren helfen nicht weiter. Professionell tätig zu sein bedeutet, das eigene Handeln zu reflektieren, Schwachstellen zu identifizieren, Fehler zu korrigieren und daraus zu lernen.
Ursachen für Gewalt
Die Ursachen für Gewalt in Kitas sind vielfältig. In jedem Fall spielt individuelles Versagen eine Rolle, häufig vor dem Hintergrund eigener belastender Erfahrungen. Ein zweiter Faktor besteht in Ausbildungsdefiziten und mangelnder Professionalität. Auch strukturelle Mängel wie eine schlechte räumliche Ausstattung oder zu wenig Personal erhöhen das Risiko. Schließlich spielt situative Überforderung eine Rolle. Auslösende Faktoren für Gewalt sind zumeist Stress- und Krisensituationen, die in psychosozialen Überforderungen gipfeln. Ein Gefühl der Hilflosigkeit stellt sich ein, das sich in Wut und Aggression wandelt, die sich dann auf dem Rücken eines Kindes entladen.
Folgen von Gewalterfahrungen für Kinder und Eltern
In erster Linie sind die Kinder die Leidtragenden. Abhängig von Art und Schweregrad der Gewalt können Verletzungen und Entwicklungsbeeinträchtigungen, Verhaltensauffälligkeiten, psychosomatische Beschwerden sowie Kontakt- und Beziehungsstörungen die Folge sein. In vielen Fällen kommt eine Verschlechterung des Gruppenklimas hinzu.
Neben dem Kind leiden auch die Eltern. Zumeist stellt sich bei ihnen ein massiver Vertrauensverlust ein, der sich schnell auf die gesamte Kita ausdehnen kann. Viele Eltern fragen sich nach einem Vorfall, ob die Kita sie umfassend informiert hat oder ob das Fehlverhalten und die Gewalt ein noch größeres Ausmaß angenommen hat, als ihnen bekannt ist.
Folgen für das Team und die Einrichtung
Auch im Team bleibt das Fehlverhalten einer Fachkraft nicht folgenlos. Eine erste Folge kann darin bestehen, dass die Fachkräfte entsetzt sind und sich für das Verhalten eines Mitglieds ihres Teams schämen. Aber auch Schuldgefühle können auftauchen, wenn sich die Frage stellt, ob zu lange weggesehen und zu spät eingegriffen wurde. Auch die Leitung wird sich fragen, ob sie ihrer Mitarbeiterverantwortung gerecht geworden ist.
Schließlich kann das Image der Einrichtung und des Trägers in Mitleidenschaft geraten, besonders wenn die Eltern die Konfrontation suchen, strafrechtliche Ermittlungen laufen oder über den Fall in der Presse berichtet wird. Nicht zuletzt kann beim Träger die Befürchtung aufkommen, dass infolge des Vertrauensverlustes ein wirtschaftlicher Schaden entsteht.
Aus Fehlern lernen – Konsequenzen
Damit sich Fehlverhalten nicht wiederholt oder sogar verfestigt, sollte jedes unprofessionelle Verhalten Konsequenzen haben. Nur wenn Übergriffe und Gewalt gegen Kinder in der Kita nicht folgenlos bleiben, können die Beteiligten aus Fehlern lernen, Verhaltensweisen und Regeln ändern und Unterstützung anbieten. Welche Konsequenzen notwendig sind, hängt von der Art und Intensität des Fehlverhaltens ab. Auch spielt eine Rolle, ob es sich um ein einmaliges oder um wiederholtes unprofessionelles Verhalten handelt, welcher Grad der Einsichtsfähigkeit bei der übergriffigen Fachkraft erreicht werden kann und ob sie bereit und in der Lage ist, ihr Verhalten zu ändern.
Die Reaktionen können je nach Lage des Falls von einem kollegialen Gespräch über die Beratung im Team, Gespräche mit der Leitung und den Eltern bis hin zur Inanspruchnahme externer Unterstützung reichen. In schweren Fällen können die Information des Trägers, eine Meldung an das Landesjugendamt und/oder arbeits- und strafrechtliche Konsequenzen unabdingbar sein.
Die Kita – ein sicherer Ort für Kinder
Lange Zeit war Gewalt durch Fachkräfte ein Tabu. Wer darüber sprach, galt als Nestbeschmutzer. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Immer mehr Fachkräfte erkennen, dass sich Kinderschutz nicht nur auf die Familien sondern auch auf die Institution bezieht. Nur wenn es gelingt, eine selbstkritische Haltung einzunehmen, unprofessionelles Verhalten offen anzusprechen und aus Fehlern zu lernen, kann die Kita ein sicherer Ort für Kinder sein.
Zwei kürzlich veröffentlichte Bücher greifen das Thema „Fehlverhalten durch Fachkräfte“ auf und weisen Wege aus der Gewalt:
Anke Elisabeth Ballmann (2019): Seelenprügel. München: Kösel Verlag.
Maywald, Jörg (2019): Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern. Freiburg: Herder Verlag.
Prof. Dr. Jörg Maywald ist Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind, Honorarprofessor an der Fachhochschule Potsdam und Sprecher der National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention.
Jörg Maywald
Prof. Dr. Jörg Maywald, langjähriger Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind, ist Honorarprofessor an der Fachhochschule Potsdam und Sprecher der National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention.
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Jörg Maywald
Prof. Dr. Jörg Maywald, langjähriger Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind, ist Honorarprofessor an der Fachhochschule Potsdam und Sprecher der National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention.
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