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Trösten, teilen, helfen: Prosoziales Verhalten und Sozialkompetenz bei Kindern fördern

Publiziert am 30.05.2023  von Christine Heinisch

Gerade eben hat die zweijährige Frieda ihrem Baby-Bruder den Schnuller wieder in den Mund gesteckt, nachdem er herausgefallen war. Einerseits könnte man glauben, sie wollte einfach selbst ihre Ruhe haben. Aber etwas anderes ist auch wahrscheinlich: Sie hat ihrem Bruder geholfen und ihn sogar damit getröstet.

Prosoziales Verhalten: Bereits im 2. Lebensjahr

Trösten, teilen, helfen – dies sind Verhaltensweisen, die man in der Fachsprache „prosoziales Verhalten“ nennt. Obwohl früher die weitläufige Meinung herrschte, dass kleine Kinder nur auf sich selbst achten, weiß man heute, dass prosoziales Verhalten sich bereits im zweiten Lebensjahr entwickelt. Dabei gibt es Kinder, die gerne teilen, und andere, die z.B. gut trösten können.

Wie zeigen Kinder prosoziales Verhalten?

Kinder neigen zu prosozialem Verhalten, auch wenn sie selbst erstmal nichts davon haben. Sie fragen, ob jemand „okay“ ist, der traurig aussieht, bieten jemand anderem einen Keks an, der keinen hat, oder helfen bereits im Haushalt mit. Meist lässt sich dies nach dem ersten Geburtstag erstmals beobachten. Mit zunehmendem Alter wird das Verhalten aber immer ausgereifter: Kinder wägen öfter ab, ob sie sich der Person gegenüber prosozial verhalten möchten. Einer netten Person wird eher geholfen als einer fiesen Person. Mit jemandem, der auch teilt, wird eher geteilt, vor allem, wenn genug vorhanden ist. Für Eltern und Fachkräfte bedeutet dies, dass sie genau hinsehen und fragen sollten, warum ein Kind vielleicht mal nicht prosozial war.

Training macht den Meister

Ab einem Alter von etwa 4 Jahren lernen Kinder gezielter, dass sie mit ihrem Verhalten das Verhalten anderer beeinflussen können. Erwachsene fühlen sich hier manchmal manipuliert, weil das Ziel so offensichtlich ist. Zum Beispiel helfen die Kinder erst beim Aufräumen, um dann sofort nach Süßigkeiten zu fragen. Dennoch sollte man milde bleiben: Für die Entwicklung sozialer Kompetenzen ist es ganz wichtig, dass Kinder sich bei ihren sicheren Bindungspersonen ausprobieren können. Man darf sie da auch ruhig mal gewinnen lassen – so erlangen sie wiederum Selbstbewusstsein und probieren sich weiter aus.

Prosoziales Verhalten unterstützen und fördern

Obwohl Menschen prosoziales Verhalten in die Wiege gelegt wird, lohnt es sich, die Entwicklung zu unterstützen: Kinder eignen sich prosoziales Verhalten auf verschiedenen Wegen an:

  • Über eine sichere Bindung: In Studien mit Kindern und ihren Müttern hat sich der wichtigste Weg herauskristallisiert: Kinder, die sichere Bindungserfahrungen machen, das heißt auf deren Signale und Bedürfnisse schon im Babyalter zeitnah angemessen eingegangen wird, verhalten sich häufiger und früher prosozial anderen gegenüber als jene mit unsicherer Bindungserfahrung, d.h. deren Signale häufiger ignoriert oder unangemessen beantwortet werden. Es ist anzunehmen, dass auch die pädagogischen Fachkräfte in der familienergänzenden Betreuung auf diesem Weg prosoziales Verhalten fördern können. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass auch sie zu echten Bindungspersonen werden.
  • Über das Lernen am Vorbild: Kinder beobachten das Verhalten ihrer Bezugspersonen. Es lohnt sich also, Trösten oder Helfen vorzuleben oder stellvertretend fürs Kind zu übernehmen, wenn es noch nicht die richtigen Worte kennt.
  • Um mit ihrer Bezugsperson zu kooperieren: Kinder verhalten sich prosozial, weil sie von ihren Bezugspersonen gelobt oder zumindest nicht ausgegrenzt werden möchten. Gerade Vor- und Grundschulkinder möchten ihren Bezugspersonen gefallen. Dabei ist es gar nicht nötig, Belohnungen oder Bestrafungen für prosoziales Verhalten anzukündigen. Die sorgen eher dafür, dass das Verhalten wegfällt, wenn niemand hinschaut. Werden Kinder mit lieben Worten in ihrem Verhalten begleitet, wenn sie helfen, teilen oder trösten, fühlen sie sich gesehen und zeigen das Verhalten öfter.

Von prosozialem Verhalten zu Einfühlungsvermögen

Mit prosozialem Verhalten fängt vieles an, was später zur sozialen Kompetenz führen soll. Ein wichtiger Meilenstein ist hier, die Gefühle anderer zu erkennen und sich darin einfühlen zu können. Dies kann über den Kopf, sprich die Kognitionen, laufen. Beispielsweise beobachtet ein Kind einen traurigen Gesichtsausdruck, Tränen und Schluchzen und schließt daraus, dass jemand traurig ist. Es kann nun so trösten, wie man es allgemein bei traurigen Personen macht. Es kann sich aber auch richtig einfühlen: Es entdeckt ein kaputtes, wunderschönes Spielzeug neben einer traurig aussehenden Person und beginnt sich hineinzufühlen, wie es sich selbst fühlen würde, wenn das Lieblingsspielzeug kaputtginge. Über das Verständnis kann es auch sein Mitgefühl ausdrücken.

Entspannte Situationen nutzen und spielerisch herantasten

Egal welcher Weg eingeschlagen wird – ob über den Kopf oder das Einfühlen: Für das Lernen ist es hilfreich, wenn Erwachsene ihre Beobachtungen aussprechen, Gesichter und Situationen beschreiben, Gefühle benennen. Dafür braucht es nicht immer echte Situationen: Auch über Bücher oder Zeitschriften kann man mit Kindern ins Gespräch kommen. In diesen Momenten sind Kinder meist entspannt und können sich spielerisch herantasten. Sie genießen die Zeit mit ihrer Bezugsperson und dürfen auch Fehler machen.
Mit zunehmendem Alter bietet es sich an, Rückfragen zu stellen: „Wie würdest du dich fühlen?“ Am besten nutzt man auch hier entspannte Situationen, beim Vorlesen, beim Familienessen oder im Spiel. Kinder können dann verschiedene Sichtweisen schildern – ohne dass dies gleich Konsequenzen hat. Besonders im Grundschulalter lieben viele Kinder auch Rollenspiele – das beste Training für Perspektivwechsel und damit für echte Empathie.
Und die Mühe lohnt sich: Eine ganz aktuelle Studie zeigt, dass Kinder, die mit 13 Jahren für ihren besten Freund eine gute Unterstützung bei Problemen sein können, auch mit 30 Jahren sozial kompetenter sind.

Quellen

Paulus, M. (2014), The Emergence of Prosocial Behavior: Why Do Infants and Toddlers Help, Comfort, and Share?. Child Dev Perspect, 8: 77-81.
Becher, T., Essler, S., Pletti, C., & Paulus, M. (2022). Compliance or empathy-What links maternal sensitivity and toddlers' emotional helping?. Journal of Experimental Child Psychology, 226, 105547-105547.
Allen, J. P., Costello, M. A., Hellwig, A. F., Pettit, C., Stern, J. A., & Uchino, B. N. (2023). Adolescent caregiving success as a predictor of social functioning from ages 13 to 33. Child Development, 00, 1– 15.

Dr. Christine Heinisch, Psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Entwicklungspsychologie der Friedrich-Alexander Universität Erlangen, setzt ihre Forschungsschwerpunkte auf Elternverhalten und die Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung von Kindern. Ihr Wissen aus der Forschung bringt sie gern in der Praxis ein.

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