Sie hatte den Blick für das Wesentliche im menschlichen Leben – zum 100. Geburtstag von Elli Michler

Publiziert am 14.03.2023  von Redaktionsteam Don Bosco Medien

Die Lyrikerin Elli Michler wurde mit ihrem Gedicht Ich wünsche dir Zeit, das 1989 erstmals im Don Bosco Verlag veröffentlicht wurde, international bekannt. Dieses – wie auch ihre anderen Gedichte über die großen Lebensthemen wie Liebe, Vergänglichkeit und Sehnsucht – spendet seitdem Michlers Leser:innen Kraft, Hoffnung, Trost und Zuversicht.

Anlässlich ihres 100. Geburtstags haben wir Elli Michlers Tochter, Barbara Michler, zum Interview gebeten.

 

 

Don Bosco Verlag: Liebe Frau Michler, im Jahr 2010 erhielt Ihre Mutter, Elli Michler, das Verdienstkreuz am Bande. Der Bundespräsident würdigte „den Rückhalt, den Elli Michler den Lesern ihrer Gedichte durch ihre lebensbejahende Art gab“. In der Tat spricht aus vielen Gedichten eine Liebe zum Leben und auch zu den Menschen. Woher nahm Ihre Mutter, geboren 1923, diese lebensbejahende Kraft?

Barbara Michler: Die Liebe zu den Menschen war ein stark ausgeprägter Wesenszug meiner Eltern und befähigte sie, sich in andere und deren Lage hineinzuversetzen. Meine Mutter hat ihre Mitmenschen nicht nur aus ihrem eigenen Blickwinkel gesehen und danach be- oder gar ver-urteilt; sie besaß ein außergewöhnliches Maß an Einfühlsamkeit; deshalb empfanden andere sie als liebenswürdig, und sie wiederum konnte sich ihren Mitmenschen intensiv zuwenden.

Ihre lebensbejahende Kraft, die sie zunächst indirekt aus ihrer religiösen Erziehung in der Schulzeit und der Geborgenheit in ihrer Familie geschöpft hatte, drohte ihr dann durch den Krieg und alle damit verbundenen schlimmen Erfahrungen in ihren Jugendjahren vorübergehend verlorenzugehen.

Doch das Erlebnis, dass sie und ihre Familie den schweren Angriff auf Würzburg überlebt und ihre Wohnung nicht völlig verloren hatten, die allgemeine Aufbruchsstimmung der Überlebenden nach Kriegsende, die Teilnahme am Wiederaufbau und am neu erwachenden Leben in Freiheit und Demokratie, die Freude über die große Chance, doch noch den gewünschten Bildungsweg einschlagen und sich für eine Gesellschaft in Frieden und Freiheit engagieren zu können, all das bestärkte sie darin, wieder aus ihrem seelischen Tief herauszufinden.

Wer so schwierige Zeiten überwunden hat, gewinnt daraus Mut und Selbstvertrauen. Er spürt, dass das Leben sich lohnt. 

Liebe zum Leben empfindet nur, wer auch einen Sinn im Leben hat. Für meine Mutter war Liebe der eigentliche Sinn des Lebens. Dazu gehörte die tätige und oft aufopferungsvolle Liebe zu ihrer engsten Familie, ihren Verwandten und Freunden, und das Bewusstsein, Teil der Schöpfung zu sein so wie Blumen, Pflanzen und Tiere.

Als sie nach dem Verlust der Generation ihrer Eltern später dann auch noch den Tod meines Vaters zu verkraften hatte, rang sie noch ein weiteres Mal entschieden um ihre lebensbejahende Haltung – und verfasste Gedichte, die durch ihre Gedankentiefe und Lebensnähe vielen Trauernden Trost und Kraft schenken, wie ich immer wieder erfahre. (Veröffentlicht in dem Band „Die Liebe wird bleiben“)

 

Don Bosco: In dem Gedicht „Ich wünsche dir Zeit“ gibt es die Zeile „Ich wünsche dir Zeit – nicht zum Hasten und Rennen, sondern die Zeit zum Zufriedenseinkönnen“. Elli Michler schreibt in ihrem biografischen Bericht, sie hätte frühzeitig Dankbarkeit eingeübt und später Zufriedenheit gelernt. Den großen Erfolg ihrer Gedichte bezeichnete sie als ein Wunder. Lag für Ihre Mutter in der eigenen Bescheidenheit der Schlüssel zum Glück?

Michler: Meine Mutter war bei Kriegsende erst einmal froh über ihr nacktes Überleben angesichts von Not, Elend und Tod in dem Unrechtsstaat und dann sehr dankbar und zufrieden, den richtigen Lebenspartner gefunden zu haben, ihr Studium absolvieren und Geborgenheit innerhalb der Familie erfahren zu dürfen.

Ihre Bescheidenheit entsprang zeitlebens auch einer gewissen Demut, mit der sie dann auch Beruf und eigene Karriere zugunsten der Familie zurückstellte, wenngleich ihr das damals – direkt nach ihrem Diplom als Volkswirtin – nicht so leicht fiel. Aber im Nachhinein war sie sehr zufrieden mit dieser Entscheidung.

Ihr Glück hatte sie nicht in materiellem Reichtum, sondern in der inneren Bereicherung durch wesentliche Lebenserfahrungen gefunden.

Im Übrigen waren die Schwierigkeiten durch vielerlei Einschränkungen und Belastungen in der Nachkriegszeit allein schon bei der Organisation des täglichen Lebens für die meisten Menschen damals ein Schutz vor übertriebenen Erwartungen und Wünschen oder gar Forderungen.

 

Don Bosco: Die Gedichte Ihrer Mutter klingen auch heute erstaunlich modern. Sie treffen den „achtsamen“ Nerv der Zeit. Könnte man sagen, Elli Michler war eine frühe Vertreterin der heutigen Achtsamkeitsbewegung?

Michler:

Meine Mutter hat Achtsamkeit praktiziert, als dieses Wort noch nicht Mode war.

Dabei hat sie aber keine „Achtsamkeitsübungen“ gemacht, wie sie heute propagiert, teilweise auch recht geschäftstüchtig angepriesen und von manchen dann wie ein Fitness-Parcours durchlaufen werden; sie hat achtsam gelebt, d.h. mit Empfindsamkeit und Einfühlungsvermögen, offenen Augen und wachen Sinnen, aufmerksam und umsichtig, behutsam, sorgfältig und rücksichtsvoll im Umgang mit Mensch, Pflanze oder Tier. Sie konnte sich über Blumen freuen, Bäume andächtig betrachten, Wolken-Formationen fasziniert beobachten.

In ihrem Gedicht „Verstehen lernen“ („Ich träum‘ noch einmal vom Beginnen“, S. 85/86) hat sie beispielsweise die Sprache als wichtigen Weg zu einem verständnisvollen Miteinander empathisch geschildert.

Mit anderen Worten: Sie hatte den Blick für das Wesentliche im menschlichen Leben, so wie sie es in ihrem berühmten Gedicht „Ich wünsche dir Zeit“ formuliert hat.

 

Don Bosco: Inwiefern war das Schreiben für Ihre Mutter auch eine Flucht in eine bessere Welt?

Michler: Unter „Flucht“ versteht man ein Ausweichen vor einer Bedrohung oder Schwierigkeit. Insofern war das Schreiben für meine Mutter ganz sicher keine Flucht. Im Gegenteil! Sie hat sich nicht gescheut, auch Negatives, Belastendes, Probleme und Missstände klar zu benennen und versuchte, dadurch manchen den Blick dafür etwas zu schärfen, statt blind dem sogenannten Mainstream zu folgen.

Dadurch hat sie auch jenen Menschen eine Stimme gegeben, die ähnlich dachten wie sie, sich aber nicht trauten, dies offen zu äußern.

Ihre Texte enthalten durchaus Sozialkritisches und teilweise auch Provokantes, wenn ich z. B. an ihre Gedichte „Drehorgellied“ (in „Ich wünsche dir Zeit – Die schönsten Gedichte von Elli Michler, S. 102) oder „Glaubens-Fragen“ (in „Das Glück, diese goldene Kugel…“ S.129) denke.

 

Don Bosco: Aus den Gedichten von Elli Michler klingt eine große Lebensweisheit. Was ist die wichtigste Lebensweisheit, die Ihre Mutter Ihnen für Ihren Lebensweg mitgegeben hat?

Michler: Niemals aufzugeben.

Siehe dazu: „Ich wünsche dir Geduld“ (In der Anthologie „Ich wünsche  dir Zeit- Die schönsten Gedichte von Elli Michler“ S. 18/19) und „Ich wünsche dir Vertrauen“ (In der Anthologie „Ich wünsche  dir Zeit- Die schönsten Gedichte von Elli Michler“ S. 28)

 

Don Bosco: Liebe Frau Michler, wir danken Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, die Fragen zu Ihrer Mutter, Elli Michler, zu beantworten.

 

Mehr über Elli Michler und ihre Gedichte erfahren.

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